Im Juli 2021 ruhte das Schicksal der schwedischen Regierung zwei Wochen lang auf den Schultern einer der offensten und unabhängigsten Abgeordneten des Landes. Amineh Kakabaveh, eine ehemalige kurdische Peshmerga (Guerillakämpferin), hat ein dramatisches und beeindruckendes Leben geführt. Die willensstarke und kämpferische Frau hat ihr ganzes Leben lang für Freiheit und Gerechtigkeit gekämpft, insbesondere für die Rechte von Frauen in traditionellen Kulturen und gegen Ehrverbrechen und religiösen Fundamentalismus. Heute ist ihr Kampf aktueller denn je. Amineh Kakabavehs Autobiografie, verfasst gemeinsam mit Johan Ohlson, schildert ihren außergewöhnlichen Weg.
Übersetzt aus dem Englischen von Anke Wagner-Wolff
Fritz Bauer Bibliothek, hrsg. von Irmtrud Wojak, Bd. 4.
ISBN: 978-3-949379-05-5“Reading her thrilling and important book, I was taken by Amineh’s dramatic journey to freedom and her bravery, but I was also overwhelmed by sadness. Iran with its wonderful people and its rich culture could have been part of the community of secular, liberal democracies in the world if it hadn’t been for the shortsightedness of the Shah and his American pals. What a loss that is.”
– Artist Björn Ulvaeus, ABBA
“You’re No Bigger Than a Kalashnikov is a fantastic story. Kakabaveh’s unique biography is not just about dedication and experiences far beyond everyday Swedish life, but also about a political attitude. Her perspective is not taken from the distinctive identity as an immigrant Kurdish woman but from the universal values that unite us all as human beings.”
– Ann Charlott Alstadt, Aftonbladet
“A riveting and candidly written tale of resilience against all odds. This book is a captivating tour de force showing readers the resourcefulness of Kurd-ish women and their struggle for equality. Amineh’s narration of a childhood marked by poverty, war, revolution, and exile depicts the upheavals befalling millions of Kurds.”
– Mashi Alinejad, Iranian journalist and women rights activist
Als Amineh Kakabaveh im Alter von achtzehn Jahren als Geflüchtete in Schweden ankam, war sie praktisch Analphabetin, lernte aber schnell Schwedisch. Sie arbeitete, während sie die Schule besuchte, und erwarb schließlich einen Universitätsabschluss. Nachdem sie sich in der Kommunalpolitik engagiert hatte, wurde sie 2008 für die Linkspartei Mitglied des schwedischen Parlaments. Dieselbe Partei versuchte später, sie aus dem Parlament auszuschließen, weil sie angeblich zu sehr gegen die Ehrkultur kämpfte – Verbrechen, die gegen Frauen mit traditionellem Hintergrund begangen wurden, um die “Familienehre” zu verteidigen.
Sie blieb ihren Grundsätzen treu und blieb als unabhängige sozialistische Abgeordnete im Parlament, was sie in die Position der entscheidenden Stimme zur Beendigung der Regierungskrise 2021 beförderte. Der Justizminister sah sich, um ihre Unterstützung zu gewinnen, mit ihr über acht konkrete Forderungen zu verhandeln, die sie gestellt hatte, – darunter die Einstellung der staatlichen Beihilfen für unabhängige religiöse Schulen, die Senkung der Steuerlast für Senioren, die von einer Rente leben, und die Ausweitung des Schutzes für Frauen und Kinder, die von sogenannten Ehrverbrechen bedroht sind.
Amineh Kakabaveh wuchs in einer armen muslimischen Familie im iranischen Kurdistan auf und erlebte die islamische Revolution, die 1979 den Ayatollah Khomeini an die Macht brachte. Als Mädchen wurde sie nach weniger als zwei Jahren gezwungen, die Schule zu verlassen. Bald darauf fiel das neue islamistische Regime in die Bergregionen Kurdistans ein, griff ihr Heimatdorf an und besetzte es. Ihr Bruder und ihr Onkel schlossen sich den kurdischen Peshmerga an. Angesichts der zunehmenden Unterdrückung versuchte sie, ihre Ausbildung im Geheimen fortzusetzen, indem sie die Radiosendungen der verbotenen sozialistischen Komala-Partei hörte. Im Alter von dreizehn Jahren wurde sie von der religiösen Miliz vor die Wahl gestellt: Zwangsheirat oder Hinrichtung. Trotzig entschied sie sich für die dritte Möglichkeit – eine dramatische Flucht, um sich den Peshmerga in den Bergen anzuschließen. Ihre Kühnheit blieb nicht ohne Folgen; ihr Vater und ihre Brüder wurden daraufhin schwer geschlagen und gefoltert.
Das Leben als Guerillakämpferin, die ständig zwischen dem Iran und dem Irak hin- und herpendelte, war hart, erwies sich aber als wahre Oase für ein junges kurdisches Mädchen, das sich danach sehnte, die Freiheit und die Möglichkeiten zu entdecken, die ihr durch die Strenge der Theokratie und die Armut verwehrt blieben. Im Rahmen ihrer Ausbildung lernte sie Fahrradfahren und Schwimmen – nachdem sie sich zunächst einen Badeanzug selbst genäht hatte. Sie konnte sogar einen Freund haben. Mehr als fünf Jahre lang kämpfte sie bei den Komala-Peschmerga und avancierte zur persönlichen Leibwächterin der kurdischen sozialistischen Führung. Schließlich verließ sie Kurdistan und zog als UNHCR-Flüchtling in die Türkei, bevor es ihr schließlich gelang, sich in Schweden niederzulassen. Als sie nach ihrer Ankunft von einem Arzt untersucht wurde, stellte man einen mysteriösen Defekt in ihrem Blut fest. Dabei handelte es sich um die Spuren von Saddam Husseins chemischen Waffen, denen sie ausgesetzt war, als sie kurz nach einem der Giftgasangriffe seines Regimes in ein kurdisches Dorf im Irak kam.
Nach nur zehn Jahren in Schweden absolvierte Amineh eine Universität und war als Sozialarbeiterin ausgebildet. Bei ihrer Arbeit mit Einwanderern stieß sie erneut auf das Problem der Ehrkultur und der damit verbundenen Verbrechen, nur diesmal in den kulturell vielfältigen Vorstädten Stockholms. Als Schulbetreuerin in einem Stadtteil, in dem mehrheitlich Migranten lebten, stellte sie fest, dass mehrere Schülerinnen der neunten Klasse – im Alter von vierzehn Jahren – verheiratet und einige von ihnen schwanger waren. Angesichts des wachsenden Einflusses des religiösen Fundamentalismus und der kulturellen Unterdrückung warnte sie öffentlich vor diesen Problemen. Einige Mitglieder der Linkspartei versuchten, sie zum Schweigen zu bringen, und beschuldigten sie der Diskriminierung. Sie nahm die Sache selbst in die Hand und gründete die schwedische Sektion von Ni Poutes Ni Soumises (Weder Huren noch Unterwürfige), einer Basisorganisation, die sich für die Rechte der Frauen und gegen die Ehrkultur einsetzt.
Dieses Muster sollte sich wiederholen, als sie sich für die “Balkonmädchen” einsetzte: Frauen, die von Mitgliedern ihrer eigenen Familie getötet werden, indem sie von ihren Balkonen gestoßen werden, um die “Ehre” der Familie zu wahren. Und auch als sie gegen das Verschwinden junger Migrantinnen aus Schweden protestierte, die gezwungen wurden, in den Sommerferien in den Nahen Osten oder nach Afrika zu reisen, um dort zu heiraten.
Amineh hat einen hohen Preis dafür gezahlt, dass sie ihren Grundsätzen treu geblieben ist. Sie wurde geächtet, des Rassismus beschuldigt und lebt unter ständiger Todesdrohung durch religiöse Extremisten und Rechtsnationalisten, sowohl in Schweden als auch im Ausland. Sie wurde häufig von ihren politischen Gegnern angegriffen, aber ebenso oft wurde sie in ihren Ansichten bestärkt. In Anerkennung ihrer Leistungen kürte das schwedische Nachrichtenmagazin Fokus sie 2016 zur “Årets Svensk” (Schwedin des Jahres). Ihre spannende und tief berührende Biografie zeichnet die Odyssee einer jungen kurdischen Frau aus Armut und Krieg bis in die höchsten Ebenen der Politik nach und nimmt dabei die schwierigsten Herausforderungen an, denen sich Frauen heute sowohl in traditionellen als auch in modernen Kulturen stellen müssen. Dazu gehören das Problem der Integration, der Ausgrenzung, der Ehrenmorde, der Kinderheirat, der Geschlechtsverstümmelung und anderer Formen kultureller, religiöser und patriarchalischer Unterdrückung, von denen Millionen junger Kinder und Frauen in vielen Ländern betroffen sind. Sie teilt diesen Kampf mit Tausenden von kurdischen Frauen, die in Syrien und im Irak gegen Daesh/ISIS kämpfen.
Johan Ohlson
Journalist und Autor (Schweden)
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